Foto; Doris Leuschner
Innenansicht
Anne Prenzler, Der Kubus
Der Kubus hat offenbar Konjunktur. In der Kunst spielte er vor allem in der minimal art der 1960er Jahre eine wichtige Rolle. Dem damaligen Zeitgeist entstammt auch der Name für das Ausstellungshaus, in dem wir uns hier befinden und im vergangenen Jahr baute der Künstler Gregor seinen „Cube“ vor der Kunsthalle Hamburg auf, anlässlich der Ausstellung „Das schwarze Quadrat. Hommage an Malewitsch“. Schneiders schwarzer Kubus erinnert bewusst an die Kaaba in Mekka, ein wichtiges islamisches Heiligtum.
Was hat das nun mit dieser Ausstellung zu tun? Nun, ich denke der Kubus, ob in religiöser Ausdeutung oder als formaler Kunstgriff, hat immer etwas zu tun mit einer konsequenten Konzentration, und genau die sehe ich als zentrales Merkmal bei jeder der drei in dieser Ausstellung versammelten Positionen verwirklicht.
Mit Hans Weskers Kubus begegnet uns zunächst einmal eine klare und raumgreifende Setzung mit einem unübersehbaren Bezug zur minimal art, z.B. zu Donald Judd. Die geometrische Strenge des gleichseitigen Raumkörpers wiederholt sich in den jeweils neun Quadraten der Außenfassade. Der schlichte äußere Eindruck wird allerdings im Inneren des Kubus geradezu in sein Gegenteil gewendet. Außen herrscht eine formale, rational geplante Strenge, wobei die Farbigkeit dem Kubus einen durchaus aggressiven Charakter verleiht – es ist eine laute Farbe. Im Inneren hingegen begegnet uns Stille. Und wo draußen Schlichtheit herrscht, haben wir im Inneren eine malerisch, romantische Fülle – einen Ort der Kontemplation von großer Schönheit, der den Betrachter regelrecht umfängt, ihn in eine andere Welt entführt. Die Innenwände sind in einem dunklen Lapislazuli-Blau gehalten, darauf ranken sich Blumen und in goldenen Buchstaben steht da der Satz „VIDI SPEZIOSAM SICUT COLUMBAM / ET CIRCUMDABAND EAM FLORES / ROSARUM ET LILIARUM CONVALLIUM“ geschrieben, ein Satz des Kartäuser Mönchs Judocus Vredis, zu deutsch: Ich sehe Dich herrlich einer Taube gleich, umgeben von den Blüten, der Rosen und Lilien im Tal.
Und wie die Kartäuser innere Einkehr halten, indem sie schweigen, so ist auch dies ein Ort der Stille. Wobei uns doch leise Klänge umfangen. Es handelt sich um eine Art sphärischen Klangteppich, aus dem von Zeit zu Zeit einige Spitzen herausklingen und der mittels einer Fünfkanaltechnik einen regelrechten Klangraum erzeugt – mitunter meint man beinahe so etwas wie gregorianische Gesänge durchtönen zu hören. Die Dimension des Klanges, den ich als Hörbachmachung der Stille bezeichnen möchte, entrückt diesen Ort noch ein Stück weiter unserer alltäglichen Welt. Nicht zuletzt mit der Musik, die wie Hegel sagt die immateriellste aller Künste ist, wird dieser Ort auch zu einem geistigen Raum.
„Hortus Conclusus“ nennt Hans Wesker diese Arbeit und bezieht sich damit auf einen Topos, den es bereits seit der Antike gibt: ein umschlossener, ummauerter Garten, so etwas wie ein gerettetes Stück vom Paradies, in der christlichen Symbolik häufig verbunden mit der Jungfräulichkeit Mariens. Sie kennen vielleicht diese Darstellungen der Jungfrau Maria in einem ummauerten Garten voller Blumen, häufig auch Lilien und Rosen. Weskers „Hortus Conclusus“ ist ein Ort der inneren Einkehr und der Kontemplation, der die Außenhaut nicht nur in der Komplementarität der Farben in ihr Gegenteil verkehrt, ein Raum im Raum, in dem Novalis’ Wort von der Poetisierung der Welt durch den Künstler im wahrsten Sinne des Wortes Wirklichkeit wird. Wesker erschafft hier eine eigene Welt, einen komplexen, spirituellen Erlebnisraum, der uns ganz und gar umfängt und uns in geistige Dimensionen entführt, die jenseits unseres rational bestimmten Alltags liegen.
Der Boden ist weich und das gedämpfte Licht im Inneren fällt orangefarben durch kleine Schlitze in den Wänden wie dämmriges Sonnenlicht. Diese Schlitze tauchen auch in anderen Arbeiten auf, beispielsweise in den Serien von Fensterbriefen als Brieffenster und geschnittene Öffnungen. Einige Arbeiten aus der fortlaufend seit Anfang der 1990er Jahre entstandenen Serie der „Kleinen Briefe“ sehen Sie hier in der Ausstellung. Auch im Bild geht es Wesker nicht zuletzt immer auch um Räumlichkeit. Aus gefundenen Vorlagen entstehen malerische Welten voller Spiritualität, die eigenen zeitlichen und bildräumlichen Gesetzen zu folgen scheinen. Und so ist der Schritt von der Malerei in die dreidimensionale Installation letztlich nur ein konsequenter, den Wesker bereits in zahlreichen Klang- und Rauminstallationen zuvor erfolgreich erprobt hat. Die Entwicklung der dreidimensionalen Arbeiten geht dabei interessanterweise immer von der Zeichnung aus. Auf dem Papier werden die gestalterischen Fragen entwickelt und gelöst.
„Hortus Conclusus“ ist Teil einer Werkreihe mit dem Thema „Klang der Stille“, die sich in mehreren Klangräumen mit dem Kartäuser Judocus Vredis auseinandersetzt....
Anne Prenzler, aus der Rede zur Eröffnung der Ausstellung 3 x Kubus im Kubus, am 11. Januar 2009 im Kubus Hannover.