Peter Weber, Glasschnitte
Gläser und Spiegel sind Medien, die sich in besonderem Maße dem Sehen, der Lust am Schauen, der Reflexion öffnen. Auch Hans Weskers Glasschnitte scheinen unsere Neugier erst einmal zu befriedigen. Sie wirken wie Museumsvitrinen, und man erwartet aufgespießte Käfersammlungen, mit denen man im 19. Jahrhundert versuchte, zu einem enzyklopädischen Verständnis der Welt zu gelangen.
Doch merkwürdig, indem diese Glaskästen ihren Inhalt preisgeben, entziehen sie diesen den Blicken wieder, wahren ihr inneres Geheimnis. Das Erkennen entzieht sich einer Begrifflichkeit. Banales wirkt entrückt, fremd, kostbar. Wie ein Reliquienschrein, der einen Holzsplitter magisch erhöht. Dabei unterliegen die Gegenstände in den Kästen zum Teil einer regelrechten Sezierung. Eine vom Meerwasser schrundige Boje erscheint wie ein aufgeschnittenes Gehirn, ein Baumpilz gibt in kühlen Schnitten sein Innenleben preis. Das wissenschaftliche Auge durchforscht die Welt, aber bringt es uns auch zum Verständnis dieser Welt?
Hugo von Hofmannsthal hat in seinem Brief des Lord Chandos eine solche Wahrnehmungskrise beispielhaft formuliert: Mein Geist zwang mich, alle Dinge (...) in einer unheimlichen Nähe zu sehen: So wie ich einmal in einem Vergrößerungsglas ein Stück von der Haut meines kleinen Fingers gesehen hatte, das einem Blachfeld mit Furchen und Höhlen glich, so ging es mir nun mit den Menschen und ihren Handlungen. Es gelang mir nicht, sie mit dem vereinfachten Blick der Gewohnheiten zu erfassen. Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen. Die einzelnen Worte schwammen um mich; sie gerannen zu Augen, die mich anstarrten und in die ich wieder hineinstarren muß: Wirbel sind sie, in die hinabzusehen mich schwindelt, die sich unaufhaltsam drehen, und durch die hindurch man ins Leere kommt. (...)
Jeder dieser Gegenstände und die tausend anderen ähnlichen, über die sonst ein Auge mit selbstverständlicher Gleichgültigkeit hinweggleitet, kann für mich plötzlich in irgendeinem Moment, den herbeizuführen auf keine Weise in meiner Gewalt steht, ein erhabenes und rührendes Gepräge annehmen, das auszudrücken mir alle Worte zu arm scheinen. (...)
Es ist mir dann, als bestände mein Körper aus lauter Chiffren, die mir alles aufschließen. Oder als könnten wir in ein neues, ahnungsvolles Verhältnis zum ganzen Dasein treten, wenn wir anfingen, mit dem Herzen zu denken.”
Die Dinge, die Hans Wesker in seinen Kästen zeigt, sammeln sich teilweise über viele Jahre in seinem Atelier, ohne daß er sagen könnte, weshalb. Und er möchte es auch nicht wissen, nicht erklären, auch nicht sich selbst. Die Dinge sollen in diesem sehr persönlichen Verhältnis ihre Aura bewahren.
Wir als Betrachter können uns nun selbst in ein ahnungsvolles Verhältnis zu diesen Dingen begeben, das unser Sehen plötzlich fremd und entrückt erscheinen läßt und damit vielleicht wieder einen "ursprünglichen Sinn” Novalis) finden.
Peter Weber
anlässlich der Ausstellungseröffnung im Kunstverein Rinteln 1997